Demokratie und Diskurs in Gefahr

So machen sich Meinungskartelle die Gesellschaft gefügig

Am 13. Juli 2022 erklärt der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bei Markus Lanz die angeblichen Machtstrukturen Putins aus seiner Sicht. Er leitet ein mit „Lenin hat gelehrt …“, aber seine Aussagen sind eindeutig bezogen auf das heutige Russland. Doch wenn man seinen Ausführungen folgt, erkennt man eine Blaupause, die sich auch auf unsere europäischen und bundesdeutschen Gefilde übertragen lässt. Gelten die genannten und folgenden fünf Punkte also nur für vermeintliche Diktaturen? Oder gelten sie grundsätzlich auch für das, was wir gerne „die westlichen Demokratien“ nennen?

Hier die fünf Punkte, die Joachim Gauck im Kontext Lenins und Putins nennt:

  1. Wenn Du die Macht einmal hast, gib sie nie wieder auf.
  2. Um das zu erreichen, schaffe die Herrschaft des Rechtes ab und mache Dir das Recht untertänig – das Recht wird Gehilfe der Macht.
  3. Erlaube keine kritische Öffentlichkeit. Das freie Wort, die freien Medien und die freie Forschung, das muss heruntergedimmt und einstimmig werden.
  4. Verschaffe denjenigen, die um ihre Rechte kämpfen, keine eigenständigen Kampforganisationen, sondern zähme die Gewerkschaftsbewegung, mache sie zu einem Organ der Staatsmacht und der Interessen der Staatsmacht.
  5. Wenn das nicht ausreicht, schaffe ein System, das jederzeit großflächig bereit ist, Angst zu verbreiten. Dazu brauchst Du einen Angstapparat, einen Geheimdient, der den Leuten Angst machen kann.

Erstaunliche Parallelen

Joachim Gauck hat diese Gedanken auch in weiteren Vorträgen wiederholt, die teilweise auf YouTube abrufbar sind. Für den ehemaligen Bundespräsidenten sind sie deswegen sicher nicht nur lose Gedanken, die im Kontext eines einzelnen Interviews erdacht und geäußert wurden, sondern sie sind seine feste Überzeugung, die er als Textbaustein in seinen Reden und Vorträgen verankert hat, um Russland als Staat und das „System Putin“ nach Beginn des Ukraine-Konflikts zu beschreiben.

Überträgt man diese Gedanken auf die jüngsten Entwicklungen im politischen System Deutschlands, ergeben sich erstaunlich Parallelen. Grund genug, sich die Punkte einmal genauer anzuschauen.

Meinungs- und Strukturkartell

Tatsächlich kann man die etablierten deutschen Parteien als Kartell betrachten, die sich die öffentlichen Strukturen zur Beute machen. Wohlfahrtsverbände sind teilweise parteinah und von der Bundes- bis auf die Lokalebene nicht selten mit Funktionären besetzt, die auch in Parteien – häufig sind es aktive oder ehemalige Mandatsträger – eine Rolle spielen. Das Gleiche gilt für Rundfunkräte, Aufsichtsräte und Strukturen der sogenannten Zivilgesellschaft.

Politiker schmücken sich gerne mit ihren Ehrenämtern und Funktionen in Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen, in Initiativen, Mitbestimmungsorganen und sogar in der Justiz. Viele Richter werden durch die Politik ernannt oder gefördert, ebenso Schöffen, also ehrenamtliche Richter. Strukturen wie Sparkassen, Krankenkassen, Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, Messegesellschaften und vieles weitere mehr, mithin alles, was sich öffentliche Infrastruktur oder Daseinsvorsorge nennt, ist ohnehin weitgehend in öffentlicher Hand und damit unter der Kontrolle der staatstragenden Parteien. Kommunale und staatliche Unternehmen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Die größten Arbeitgeber in den meisten Städten sind entweder staatlich oder zumindest öffentlich-rechtlich: Hochschulen und Verwaltungen, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen, Spar- und Krankenkassen, Wohnungsbaugenossenschaften und Energieversorger, überall herrscht politischer Einfluss.

Politiker wechseln zwischen ihrem Mandat, Lobbyorganisationen, Vorständen und Aufsichtsräten sowie ehrenamtlichen Strukturen hin und her, vermischen dabei auch gerne ihre Tätigkeiten und Interessen. Die Macht der Parteien ist also durchaus nicht auf die Parlamente und die Regierungen beschränkt. In einem solchen System sind Veränderungen, gar Disruptionen schwer. Die programmatischen Gegensätze, die vor allem in Wahlkämpfen augenscheinlich werden, spielen dabei kaum eine Rolle. Wenn es um die systemischen Interdependenzen geht, hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Man kennt sich, man arrangiert sich, zumal die meisten Gremien eh paritätisch besetzt sind, so dass genügend Posten und Pfründe verteilt werden können.

Kritische Öffentlichkeit

Dass man nicht mehr alles sagen darf, was man denkt, ist nicht nur ein vages Gefühl. Zwar wandern hierzulande nur wenige wegen abweichender Meinungen ins Gefängnis, aber die gesellschaftliche Ächtung und soziale Ausgrenzung Andersdenkender hat beachtliche Ausmaße angenommen. Die SPD betreibt ein eigenes, weit verzweigtes Medienimperium. Und Studien, die nicht nur dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine links-grüne Agenda in der Berichterstattung bescheinigen, gibt es zuhauf. Die veröffentlichte Meinung ist also weitgehend homogen. Was nicht ins Bild passt, wird als „alternatives Medium“ oder „dem rechten Spektrum zugehörig“ abgestempelt und somit in ein perspektivisches Zwielicht gerückt, gerne garniert mit Begriffen wie „extrem“, „undemokratisch“ oder „ideologisch“.

Wer es dennoch wagt, abweichende Meinungen zu äußern, bekommt es mit der „Zivilgesellschaft“ zu tun. Diese besteht meist aus Vereinen und Initiativen, die, wie oben beschrieben, ohnehin staatlicher Einflussnahme unterliegen, oder aber mit öffentlichen Zuschüssen gesegnet Andersdenkende an ebenso öffentliche Pranger stellen. Akteure der Zivilgesellschaft betreiben Internetpranger und Meldestellen, bezahlen Antidiskriminierungsbeauftragte, die weniger echte Opfer schützen als vielmehr vermeintliche Tätergruppen pauschal diskreditieren, und die umfassend mit den Medien kooperieren – als Quelle, Hinweisgeber oder sachverständige Betroffenenvertreter.

Und ein Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag macht deutlich, dass die Meinungsfreiheit, insbesondere im Netz, weiter eingeschränkt werden soll.

Kampforganisationen

Die Strukturen der „Zivilgesellschaft“ sind die Kampforganisationen der modernen Demokratie. Zu was sie imstande sind, zeigen die vielen Demos „gegen rechts“ der letzten Jahre. Sie bringen, wenn nötig, Hunderttausende Menschen auf die Straße. Sie bekommen viele Millionen Euro an Zuschüssen aus „Demokratieförderprogrammen“, Projektförderungen, die vor allem hauptamtliche Stellen finanzieren, und über den Umweg politischer Stiftungen. Der Staat finanziert sich so seine eigene Pseudo-Opposition, um den schönen Schein der politischen Pluralität zu wahren. Er kann diese Strukturen aber auch im Sinne der jeweils herrschenden Agenda einsetzen: gegen rechts, für mehr Klimaschutz, gegen Diskriminierung, für den Frieden mit mehr Waffen … immer aufgeladen mit den Inhalten der Initiatoren und des Zeitgeistes, kampfbereit gegen Andersdenkende.

Parteien und alimentierte sowie politisch dominierte Organisationen sorgen für die Umsetzung der vorgegebenen Doktrin. Sie verbreiten die Angst vor Ausgrenzung, vor Shitstorms und vor sozialer Ächtung, vor Boykotten und gar vor Strafanzeigen. Denn längst werden häufig auch kleinste Entgleisungen in der politischen Debatte, so unschön diese sind und so unnötig sie für die Debatte sein mögen, auch strafrechtlich verfolgt. So wird auch das Recht zum Mittel der Repression, denn ein gerichtliches Verfahren muss man sich auch finanziell erst einmal leisten und mental durchstehen können. So wird tatsächlich das Recht zum Gehilfen der Macht.

Spätestens seit Corona

Wie man mit Angst Politik macht, wurde während der Corona-Pandemie demonstriert. Wer keine Maske tragen konnte oder wollte oder die Maßnahmen auch nur leise in Zweifel zog, wurde zum potenziellen Massenmörder an den sogenannten vulnerablen Gruppen. Wer die Gefährlichkeit des Virus hinterfragte, war ein „Querdenker“, „Schwurbler“ oder „Corona-Leugner“. Willfährige Denunzianten, die Eis-Essende, Parkbanksitzende und privat Feiernde anzuzeigen bereit waren, gab es zuhauf. Die Blockwartmentalität wurde wiedergeboren. Sekundiert wurde das alles durch Medien, die nur die „Wissenschaftler“ zu Wort kommen ließen, die das Virus maximal gefährlich und die ohnehin existenzgefährdenden Schutzmaßnahmen als noch zu harmlos einzuordnen wussten, und von Interessengruppen, die ohnehin überwiegend von öffentlichen Mitteln abhängen und deswegen gar nicht in die Versuchung geraten konnten, objektiv zu argumentieren.

Angst- und Empörungsindustrie

Mit den Thema Klima, Ukraine und Inflation wurde und wird ähnlich verfahren. Die Angst- und Empörungsindustrie breitet sich aus. Öffentliche Mittel und Verquickungen mit politischen Akteuren geben ihnen alle Möglichkeiten. Andersdenkende müssen Angst vor Repressalien haben, sie wissen längst um die Mechanismen der Einschüchterung. Es braucht kaum einen Geheimdienst, um Druck auszuüben, die „Zivilgesellschaft“ reicht völlig aus. Den Rest erledigt der Verfassungsschutz.

Wie also steht es um unsere Demokratie? Ist die von Joachim Gauck genannte Blaupause nicht längst ein Programm, das auch in Deutschland abläuft? Auf den Gedanken zumindest könnte man kommen.