Es sind die Bürger der Stadt Bautzen, Herr Ahrens!

In vielen Städten und Gemeinden überall in Deutschland gehen immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die allermeisten sind friedlich. Es sind Familien mit Kindern, Jugendliche und Greise, Männer und Frauen, Handwerker und Unternehmer, Angestellte und sogar Menschen aus Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes. Es ist ein Querschnitt der Bevölkerung: Schüler, Studierende, Auszubildende, Arbeiter und Manager, Menschen mit einfacher Schulbildung genauso wie Akademiker. Die Demonstrierenden kommen aus der Breite der Gesellschaft und bilden diese auch ab.

Unter den Demonstrierenden sind auch Geimpfte und Genesene. Nicht alle sind per se Impfgegner oder Corona-Verharmloser. Sie alle aber eint eins: die Angst um ihre Existenz, die Sorge vor dem Verlust der gerade in Ostdeutschland mühsam erkämpften Freiheitsrechte, vor noch mehr staatlicher Gängelung und behördlicher Kontrolle und vor einer Gesellschaft, die soziales Miteinander bestraft, statt zu fördern.

Es hat sich in der politischen Debatte etabliert, diese Menschen allesamt über einen Kamm zu scheren, wahlweise als Rechtsextreme, Spinner, unbelehrbare Querdenker (das war früher mal ein positiv besetzter Begriff für Avantgardisten und Pioniere), Esoteriker, Corona-Leugner oder Schwurbler zu diskreditieren. Wer sich Sorgen macht, um sein Geschäft, seinen Job, seine Familie oder seine Kinder, und diese Sorge zum Ausdruck bringt, wird schnell in die Ecke mit „Nazis“ und „Verschwörern“ gestellt. Was auf der Strecke bleibt, ist mal wieder die Meinungsfreiheit und die Debattenkultur in all ihrer Vielfalt.

Wie einst Sigmar Gabriel

Der Bürgermeister der Stadt Bautzen hat nun einen neuen Begriff geprägt: „Gestalten“! Er bewegt sich damit auf dem gleichen Niveau wie Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der im Jahr 2015 von „Pack“ gesprochen hat. Aber, Herr Ahrens, das sind die Bürger Ihrer Stadt. Es sind die Menschen, deren oberster Repräsentant Sie sind. Nicht wenige dieser Menschen vertrauen Ihnen bei der Führung der Stadt und erwarten, dass Sie gerade jetzt für sie Partei ergreifen und Ihre Stimme erheben.

Das Klischee bedient

Mal wieder ist unsere schöne Stadt in den Schlagzeilen. Zwar wird in hunderten Orten demonstriert, aber der öffentliche Fokus richtet sich einmal mehr besonders auf Bautzen. Warum? Weil es hier bei einer Demonstration zu angeblichen Ausschreitungen gekommen ist und genau das natürlich perfekt ins Bild derjenigen passt, insbesondere auf Seiten der Medien, die die Mehrheit der Bürger in Bautzen schon immer kollektiv in einem bestimmten politischen Milieu verorten wollten. Das Stereotyp das rebellischen Sachsen und des radikalisierten Bautzens wird einmal mehr bedient. Und Sie, Herr Ahrens, bedienen mit Ihrer Ausdrucksweise dieses Klischee diesmal mit.

Gewalt ist immer zu verurteilen

Gewalt ist keine Lösung. Gewalt ist zu verurteilen. Die Ereignisse der Nacht vom 27. Dezember müssen aufgearbeitet und geahndet werden. Wo Gewalt seitens der Demonstrierenden ausgeübt wurde, muss der Rechtsstaat mit aller Härte durchgreifen. Das gilt aber gleichermaßen für die Gewalt, die von staatlichen Institutionen ausging. Die Bilder, die Polizisten zeigen, die Demonstrierenden in den Rücken(!) treten, legen nahe, dass die Eskalation nicht ganz so einseitig gewesen sein könnte.

Der Staat hat ein Gewaltmonopol. Das muss er nutzen, um gegen Feinde des Staates vorzugehen. Aber der Staat ist auch gebunden an die Verhältnismäßigkeit. Ob die an diesem Abend gegeben war, darf zumindest bezweifelt werden. Hunderte Polizisten in Kampfmontur und mit Schlagstöcken stellen sich Familien und „Spaziergängern“ entgegen?

Bautzen ist nicht G20

Die Bilder, die die Medien verbreitet haben, glichen denen vom G20 Gipfel in Hamburg. Nur, dass dort tausende wirklich radikalisierte Extremisten aus der ganzen Welt angereist sind, die sich auch gezielt für Gewalttaten und Brandanschläge verabredet hatten. Hat man dies auch im beschaulichen Bautzen erwartet? Tausende radikale „Querdenker“, die marodierend durch die Stadt ziehen? Dem Polizeiaufgebot zufolge anscheinend schon.

Aber Bautzen ist eben nicht G20. Bautzen ist eine von hunderten Städten und Gemeinden, in denen ganz normale Bürger in zivil auf die Straße gehen, um ihren Sorgen Ausdruck zu verleihen.

Diffamierung führt zu weiterer Radikalisierung

Statt diese Bürger weiter zu diffamieren und damit auch immer weiter zu radikalisieren, wäre Dialog notwendig. Das gilt für die große Politik in Berlin und in den Ländern genauso wie für die kommunale Ebene. Partei zu beziehen und alle Andersdenkenden als „Gestalten“ abzuurteilen, wird die Situation nicht verbessern. Ebenso wenig hat es Sinn, Einzelhändler und Gewerbetreibende in der Innenstadt aufzufordern, montags die Lichter zu löschen, um damit „ein Zeichen der Solidarität“ zu setzen. Vielmehr ist dies ein Aufruf, die Gesellschaft weiter zu spalten in diejenigen, die sich noch trauen eine Position zu beziehen und diejenigen, die sich auf der Seite der veröffentlichten Mehrheitsmeinung sehen. Es ist de facto ein Boykottaufruf gegen Andersdenkende.

Dialog ist geboten

Was notwendig ist, ist Dialog. Die Sorgen der Menschen sind berechtigt. Die Sorgen des Ladenbesitzers vor den wirtschaftlichen Folgen und einer sterbenden Innenstadt, die Sorgen von Eltern vor der Gefahr einer Impfung selbst kleiner Kinder, die Sorgen um Arbeitsplätze, Unternehmen und soziale Strukturen, die Sorgen um die Zukunft von Vereinen und Initiativen, die Sorge des Gaststättenbetreibers um seinen wertvollen Ort der sozialen Begegnung, die Sorge vor einer neuen politischen Kultur, in der per Dekret Bürgerrechte ausgehebelt werden können und in der jeder Andersdenkende mit Ausgrenzung bestraft wird. Bitte, lasst uns reden!

Es ist nicht eine kleine, radikale Minderheit, die sich Sorgen macht, sondern die ganz überwiegende Mehrheit der Gesellschaft. Die Frage ist, wie man diesen Sorgen begegnet. Mehr Verständnis und Toleranz wären der bessere Weg. Denn Menschen auf eine Linie zu zwingen, hat gerade in unserem Land schon mehrmals nicht funktioniert.