Die neue Respektlosigkeit

Respekt fordern Politiker im Wahlkampf – für sich, aber auch von der Gesellschaft insgesamt. Respekt fordern Geschäftspartner voneinander, wenn sie miteinander auf Augenhöhe agieren. Respekt fordern Menschen vor ihrer Lebensleistung und für die Arbeit, die sie täglich erbringen, von ihren Vorgesetzten, Kunden oder Kollegen. Jeder fordert Respekt, aber wird er gleichermaßen anderen gegeben? Sind die, die Respekt fordern, immer respektvoll? Politiker gegenüber ihren Wählern und dem Volk? Agiteure im Netz gegenüber Andersdenkenden? Journalisten gegenüber denen, über die sie berichten? Nicht immer. Eigentlich eher selten. Denn meist geht es um die Durchsetzung höchstpersönlicher Interessen unter dem Deckmantel eines vermeintlich höheren Ziels. Ich darf, ja muss respektlos sein, weil ich die Gesellschaft verbessere, wohingegen Du dieser schadest. Was schadet, definiert dabei das eigene enge Sozial- und Meinungsumfeld, die Peer-Group, die eigene Echokammer aus abstrakten Überzeugungen und Ideologien, der Berufsstand oder die vermeintlich schweigende Mehrheit. Es ist einfach, das eigene respektlose Verhalten legitimiert zu bekommen. Irgendeiner applaudiert oder sekundiert immer, anonym im Netz oder lautstark in einer Gruppe von anderen ausschließlich Respektablen. Und am Ende leben wir in einer Welt der Respektlosigkeit, in der jeder seine moralische Hybris vollziehen kann, ohne andere respektvoll zu behandeln, sich aber zugleich dem Gefühl der ethisch-gesellschaftlichen Überlegenheit hingibt, freilich ohne wirklich kritische Bewertung des eigenen Beitrags für eben jene Gesellschaft.

Ich denke in den letzten Wochen viel über die Frage des Respekts nach. Vor einigen Tagen wurde wieder einmal ein Baustellenfahrzeug unseres Unternehmens beschädigt. Diesmal war es kein Brandanschlag, sondern eine Scheibe wurde „zerdeppert“ (die heimische Tageszeitung berichtete entsprechend). Nicht so schlimm, mag man meinen. Ist ja „nur“ etwas Vandalismus. Passiert doch jeden Tag irgendwo. Das mag stimmen. Aber dennoch ist es ein Symptom. Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem Eigentum anderer. Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber der Leistung desjenigen, der dieses Fahrzeug benutzt, hegt und pflegt. Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber der Leistung des Unternehmens insgesamt, das ich zusammen mit einem zweiten Gesellschafter führe, und in dem mehr als 700 Menschen jeden Tag ihr Bestes geben, um schöne Bauwerke zu errichten zum Wohle der Menschen und der Region. Es ist Gewalt. Es ist die gleiche Gewalt und der gleiche Geist, der auch den vielen Brandanschlägen und den Bedrohungen zugrunde liegt, denen ich und unser Unternehmen ausgesetzt waren und sind. Der Grat zwischen eine Scheibe einschlagen, einen Bagger anzünden und einem Menschen Gewalt antun, sei es physisch oder psychisch, ist schmal. Es ist das Ergebnis fortgesetzter Respektlosigkeit denen gegenüber, die sich überhaupt noch trauen, sich öffentlich zu inszenieren, als Unternehmen in der Öffentlichkeit oder als engagierte Privatperson. Wer sich Respekt verdient, wird Respektlosigkeit ernten. Das ist das Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Entwicklung.

In dem Zusammenhang passt es gut, dass nun auch das Ermittlungsverfahren wegen eines der größten Brandanschläge auf eine der Baustellen unseres Bauunternehmens eingestellt wurde. Die weiteren Ermittlungen lohnen sich nicht. Man könne das nicht aufklären. Und schließlich sind das ja auch nur Gegenstände, die da brannten. Schade. Akte zu. Erledigt. Die Folgen tragen andere, die Geschädigten, ich, das Unternehmen, die Kolleginnen und Kollegen. Die Täter kommen ohne Strafe davon, müssen jetzt auch keinen Verfolgungsdruck mehr spüren. Ein Staat gesteht seine Ohnmacht ein gegenüber Gewaltbereiten und Chaoten. Dass diese Gewaltbereiten und Chaoten teilweise sogar noch Zuspruch aus manchen Kreisen der Politik erhalten, die diese als Aktivisten glorifizieren, soll hier unkommentiert bleiben. Aber auch das ist eine Frage des (mangelnden) Respekts.

Unternehmer bekommen kaum noch Respekt. Sie werden behördlich gegängelt, maximal besteuert und mit Auflagen drangsaliert. Sie sollen Arbeitsplätze schaffen und erhalten, sozial agieren, die Gesellschaft fördern, die Umwelt schonen und alles tun, was Politik, Lobbyisten und „die Gesellschaft“ als wohlfeil verordnen. Das tun die meisten gern, auch ohne, dass staatlicher Zwang oder öffentlicher Druck notwendig wären. Allerdings erwarten sie dafür dann eben Respekt, jenen Respekt vor Eigentum und der Lebensleistung, vor dem eigenen unternehmerischen Mut und dem Risiko, das sie täglich eingehen, und vor den Ergebnissen, die sie für die Stadt, den Landkreis und das Land insgesamt erbringen. Aber dieser Respekt wird ihnen verwehrt. Sie müssen erdulden, wenn Maschinen zerstört werden und die öffentliche Meinung Neid, Missgunst und Häme verbreitet, wenn Verfahren eingestellt werden. Es sind ja nur Gegenstände. Nein, eben nicht. Es ist Teil des Lebenswerkes vieler Menschen, die positiver Bestandteil ebenjener Gesellschaft sind, die ihnen den Respekt verweigert.

Wir müssen lernen, die Dinge wieder als Werte zu begreifen, die weit über den reinen Sachwert hinausgehen. Oscar Wild sagte mal, es gebe Menschen, die kennen von allem den Preis, aber von nichts den Wert. Wir sprechen zu viel über den Sachschaden, aber zu wenig über die Motivation der Gewalt dahinter. Wir erleben, auch jetzt im Wahlkampf wieder, eine zunehmend wertelose, orientierungslose und respektlose Gesellschaft, die Leistung missachtet und persönliche Verantwortung auf dem Altar des Kollektivismus zu opfern bereit ist. Das Kollektiv aber verdient nicht den Respekt. Es sind die vielen einzelnen, die sich den Respekt verdienen: mit ihren Taten und der Übernahme von Verantwortung. Ich fordere diesen Respekt ein, für mich und meine Mitarbeiter. Und ich nehme die Politik in die Pflicht. Ich werde nicht schweigen ob der fortgesetzten Respektlosigkeiten, weder gegenüber der Politik noch gegenüber Behörden oder wirtschaftlichen Akteuren. Wer Wohlstand schafft, sei es in Form von Arbeitsplätzen, technischen und sozialen Innovationen, gesellschaftlichem Engagement oder durch den Mut eigenverantwortlicher Entscheidungen und persönlicher Risiken, kann zurecht Respekt erwarten. Wer Wohlstand, Freiheit und Engagement vernichtet, dem muss dies umgekehrt auch vorgehalten werden dürfen. Bei allem Respekt.